Leben ohne Ballast
Zellen haben in der Evolution viel unnützen Ballast angesammelt. Viele Abläufe sind möglicherweise komplizierter, als sie es eigentlich sein müssten. Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried will deshalb wissen, was eine Zelle an Minimalausstattung zum Leben benötigt. Konzentration auf das Wesentliche ist für die Biophysikerin auch der Weg, um die Balance zwischen Beruf und Familie zu finden.
Kompliziert, obwohl es auch einfacher geht
„Manche Probleme hat die Natur sehr überzeugend gelöst. Andere wirken auf den ersten Blick sehr umständlich.“ Das Abschnüren von Membranbläschen ist zum Beispiel im Prinzip sehr einfach, die Natur hat sich aber einen komplizierten Weg ausgedacht. „Ich wundere mich schon, wie kompliziert die Zelle das macht. Wahrscheinlich hat das ja seine Gründe. Aber geht es nicht doch einfacher?“ Es ist ein anderer Denkansatz, ein platonischer: Was ist die reinste physikalisch mögliche Form der Zellteilung?
Einige Prinzipien sind bereits bekannt. Das Signal zur Zellteilung gibt eine molekulare Uhr in Form einer chemischen Reaktion. Wenn diese Reaktion eine ausreichende Menge einer Substanz gebildet und entsprechend in der Zelle verteilt hat, geht es los, und die Zellteilung startet. Eine solche zeitgebende Reaktion hat sie bereits ausfindig gemacht. „Nun wollen wir sie an den mechanischen Impuls der Teilung koppeln.“
Über die Jahrmillionen hat die Evolution also viel molekulares Übergepäck angesammelt. Das will Petra Schwille alles loswerden und nur das behalten, was absolut notwendig ist.
Sie geht dabei vor wie ein Ingenieur: Der will auch nicht so genau wissen, wie ein Vogel fliegt. Ingenieure verstehen die Physik des Fluges und bauen einfach etwas, das ebenfalls fliegen kann. „Deshalb bin ich wohl auch keine Biologin geworden. Biologen wollen immer möglichst präzise beschreiben, was sie sehen. Ich will es aber gar nicht so genau wissen. Mich interessiert nur, was unverzichtbar ist und was nicht.“
Manche Biologen sind davon überzeugt, dass alles wichtig ist. Vielleicht hat sich das Leben ja in einer Ursuppe aus unzähligen verschiedenen Molekülen entwickelt und von Anfang an komplexe Strukturen gebildet. „Ich glaube das nicht. Es gibt sicher Moleküle oder Molekülklassen, die wichtiger sind als andere.“

Vom Reagenzglas geht keine Gefahr aus
Befürchtungen, dass sich das Leben aus dem Reagenzglas selbstständig machen und in die Umwelt gelangen könnte, hat die Forscherin nicht. „Zellen sind ja auch deshalb so kompliziert, weil sie sich gegen andere Zellen durchsetzen müssen. Unsere künstliche Zelle wird dagegen keinerlei Abwehrmechanismen haben. Von einem so schutzlosen Organismus wird keine Gefahr ausgehen.“
Petra Schwille will sich auf das Wesentliche konzentrieren. Nicht nur in der Zelle, auch im Leben. Und da kommt eine ganze Menge zusammen: Sie ist Mitglied in Beiräten und Kuratorien acht renommierter wissenschaftlicher Zeitschriften. Zudem ist sie Fachgutachterin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und sitzt im Vorstand diverser Fachgesellschaften. Zusätzlich zu ihrer eigenen Forschung muss sie Gutachten schreiben und Konferenzen besuchen.
Gleichzeitig hat sie auch ein Privatleben: Ihre drei Töchter sind inzwischen drei, sechs und acht Jahre alt. Sie musiziert und geht gerne in den Klettergarten zum Trainieren für die Berge. Beruf und Privatleben – beides lässt sich vereinbaren. Aber nur, wenn man weiß, was wirklich wichtig ist.