Leben ohne Ballast
Zellen haben in der Evolution viel unnützen Ballast angesammelt. Viele Abläufe sind möglicherweise komplizierter, als sie es eigentlich sein müssten. Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried will deshalb wissen, was eine Zelle an Minimalausstattung zum Leben benötigt. Konzentration auf das Wesentliche ist für die Biophysikerin auch der Weg, um die Balance zwischen Beruf und Familie zu finden.
Mit einem hatte die Forscherin allerdings nicht gerechnet. „Dass in der Pubertät das Gehirn komplett umgebaut wird, ist bekannt. Aber dass es in der Schwangerschaft auch so ist, das sagt einem niemand. Durch den Hormonschub wird man auf Muttersein und Zu-Hause-Bleiben programmiert.“ Erst wenn die Kinder aus dem Haus sind, entspannt sich das Gehirn wieder. „Aber vorher ist die Natur einfach gegen uns. Entweder man fügt sich, oder man geht seinen eigenen Weg!“ Petra Schwille entschied sich für Letzteres: Sie suchte eine liebevolle Tagesmutter für ihre Tochter und war nach acht Wochen wieder im Institut.
Und trotzdem bekam sie noch zwei weitere Kinder. Sie lacht. „Wenn das Gehirn erst mal umgebaut ist, kann man auch weitermachen.“ Berufliche Nachteile hatte sie in ihrer Position nicht zu erwarten. „Schlaflose Nächte ja. Aber sonst?“ Kinder und Karriere – nicht vielen Wissenschaftlerinnen gelingt das. Der Nachwuchs kommt oft während des Studiums oder der Promotion, und die Hormonfalle schnappt zu. Also verzichtet Mama auf die Karriere. Andere bleiben in der Forschung und setzen auf eine späte Mutterschaft. Aber das klappt nicht immer.

Karriere im Eiltempo - und anschließend die Kinder
Petra Schwille ist sicher eine Ausnahme. Sie hat im Eiltempo ihr berufliches Ziel erreicht und dann die Kinder bekommen. „Anders wäre es auch nicht gegangen. An der Cornell University war ich achtzig Stunden pro Woche im Labor. Das hat Spaß gemacht, und ich hatte damals auch noch nicht das Bedürfnis, Kinder zu bekommen.“ Sie ermutigt junge Frauen, es ihr gleichzutun. Von einer strengen Frauenquote in der Wissenschaft hält sie nicht viel. „Aber wir sollten früh nach talentierten Frauen suchen und eigens Lehrstühle für sie einrichten. Auch wenn das begabten Männern gegenüber nicht fair klingt: Die biologischen Härten müssen abgefedert werden.“
Ohne einen Partner, der seine beruflichen Pläne an die ihren anpasst, hätte es allerdings nicht funktioniert. Petra Schwilles Mann hat einige Opfer gebracht. Er gab sein Kirchenamt in Göttingen auf und begann in Dresden noch einmal neu – als Medizinethiker. Probleme mit den Plänen seiner Frau, Zellen im Labor nachzubauen, hat er nicht. „Er ist kein Dogmatiker. Pränatale Diagnostik oder Medizin am Lebensende – das sind ethisch brisante Fragen. Ob man Leben als solches schaffen darf oder nicht, sind dagegen akademische Fragen. Da muss man schon sehr religiös sein, um damit Probleme zu haben.“
Petra Schwille hat ja auch nicht die Erschaffung eines künstlichen Menschen im Sinn, sie interessiert einfach, wie Leben überhaupt funktioniert. Und zwar in der allereinfachsten Version. „Die erste künstliche Zelle wird um vieles simpler aufgebaut sein als eine Bakterienzelle.“
Craig Venter hat künstliche Zellen nach eigenem Bekunden bereits 2010 im Labor erzeugt – eine Interpretation, über die sich streiten lässt. Denn letztendlich hat er das Erbgut eines Bakteriums nachgebaut und in eine leere Bakterienhülle übertragen.
Petra Schwille schlägt einen anderen Weg ein. Ihr vorläufiges Ziel ist, aus einzelnen Zellbausteinen ein Gebilde zu konstruieren, das aussieht wie eine Zelle und sich kontrolliert teilen kann. In fünf Jahren will sie so weit sein. „Selbstorganisation ist hier das entscheidende ordnende Prinzip. Dann kommen wir vielleicht schon mit wenigen unterschiedlichen Molekülarten aus.“
Ein Beispiel für Selbstorganisation ist die Zellmembran mit ihrer Fähigkeit, ihre Form zu verändern. Diese Doppelschicht aus Fettmolekülen bildet Strukturen wie Seifenblasen, die sich schon durch Schütteln teilen können. Doch es genügt nicht, beliebig zu teilen. Nur wenn sich die Zellhülle exakt halbiert, können zwei lebensfähige Tochterzellen entstehen. Die Wissenschaftlerin sucht deshalb Moleküle, mit denen sie die Zellteilung exakt steuern kann.