Leben ohne Ballast

Zellen haben in der Evolution viel unnützen Ballast angesammelt. Viele Abläufe sind möglicherweise komplizierter, als sie es eigentlich sein müssten. Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried will deshalb wissen, was eine Zelle an Minimalausstattung zum Leben benötigt. Konzentration auf das Wesentliche ist für die Biophysikerin auch der Weg, um die Balance zwischen Beruf und Familie zu finden.

Der Plan: Eine Doktorarbeit in Wissenschaftstheorie

Dort traf sie bald einen Studenten der evangelischen Theologie, der in ihrem Leben ebenfalls eine wichtige Rolle spielen sollte. „Mit Religion hatte ich nicht viel am Hut. Aber über Philosophie konnten wir uns gut unterhalten.“ Sie wurden ein Paar, und Petra Schwille saß nun auch im Hörsaal der Philosophischen Fakultät, im Hauptseminar „Kritik der reinen Vernunft“. Während sie in den Physikvorlesungen schnell die Lust verlor, blieb sie bei Immanuel Kant von Anfang bis Ende dran, folgte gebannt, war gefordert zu hinterfragen. „Das hat mich richtig interessiert.“

Ihre Diplomarbeit schrieb sie am Institut für Medizinische Physik. Und nachmittags ging sie über die Straße zu den Philosophen, um Vorlesungen zu hören. Sie plante sogar, in Philosophie zu promovieren – über Wissenschaftstheorie. Es scheiterte letztlich nur an einer fehlenden Stelle.

Aber da war ja noch der Held ihres Vaters, Manfred Eigen, nun bereits kurz vor der Emeritierung. Sie hätte gerne bei ihm über Evolutionstheorie geforscht. Doch Eigen schlug etwas anderes vor: die Fluoreszenzkorrelationsspektroskopie, abgekürzt FCS. Eine hochempfindliche optische Messmethode zur Untersuchung der Dynamik von Molekülen. Dabei wird an die Moleküle ein Fluoreszenzfarbstoff gekoppelt und anschließend stark verdünnt. Mit einem feinen Laserstrahl werden nun die Farbstoffe zum Leuchten angeregt. Lichtempfindliche Messgeräte können so die Bewegung der winzigen Farbpunkte erfassen.

Die Methode war in Manfred Eigens Labor entwickelt worden. Petra Schwille erweiterte sie und untersuchte fortan die Reaktionen zwischen zwei Molekülsorten mit zwei unterschiedlichen Farben.

1997, ein Jahr nach ihrer Promotion und ausgestattet mit einem Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, wechselte Petra Schwille in die USA zur Cornell University. Zu Watt W. Webb in jenes Labor, in dem die Urform der FCS erfunden worden war.

Vom Traum, ein eigenes Team zu gründen

Auch die Zwei-Photonen-Anregung wurde hier entwickelt: Schießt man zwei Photonen geringer Energie kurz nacheinander auf ein Molekül, wird es genauso angeregt wie durch ein einziges Photon mit der doppelten Energie. Damit lassen sich verschiedene Probleme bei der Beobachtung von Zellen umgehen. Diese Methode kombinierte Petra Schwille dann mit der FCS.

Zurückgelockt nach Deutschland hat sie die „Bio-Future“-Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums. Die Initiative eröffnete ihr die Möglichkeit, in Deutschland eine eigene Forschergruppe zu gründen. „Das war mein Traum.“ Und so kehrte Petra Schwille 1999 als Nachwuchsgruppenleiterin an das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie nach Göttingen zurück. „Ich durfte die Räume Manfred Eigens mitsamt den Geräten übernehmen.“

Es lief gut in Göttingen. So gut, dass sie sich um eine Professur an der Universität Dresden bewarb. Die DDR hatte sie zwar nie persönlich kennengelernt, aber kurz nach dem Mauerfall war Petra Schwille zusammen mit ihrer Mutter und Großmutter für eine Woche nach Dresden gereist. Die Stadt hatte sie fasziniert. „Als der Ruf von dort kam, war klar, wie ich mich entscheide.“

Im Jahr 2002 war das, dreizehn Jahre nach der Wende. Die Frauenkirche war gerade im Aufbau, und zwischen aufwendig renovierten Altbauten lagen immer noch Trümmergrundstücke. Immerhin gab es einen neuen Uni-Campus.

Der frühere Student der Theologie, seit 2002 ihr Mann, hatte in Göttingen seine Pfarrstelle. Zwei Jahre pendelten sie hin und her, bis er schließlich nach Dresden zog. Petra Schwilles Forschung war gerade angelaufen, da bekam das Paar sein erstes Kind. Dresden bot die perfekte Umgebung dafür, hier gab es ausreichend Kinderkrippen und Tagesmütter.

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