Biomoleküle chemisch verändern

Eine Fraktion von Chemikern in der Synthetischen Biologie erforscht neuartige, alternative Formen der Biochemie: Sie konstruieren Biomoleküle, die in der Natur so nicht existieren und neue Eigenschaften mitbringen. Auf diese Weise lassen sich Eingriffe in zelluläre Prozesse auch sicher gestalten.

Verändert man die chemische Grundstruktur von Erbmolekülen wie der DNA mit künstlichen Bausteinen, so bewirkt das grundlegende Änderungen der Bau- und Betriebsanleitung der Zelle. In der Synthetischen Biologie wird auf diese Weise eine neue Programmiersprache eingeführt, die von der Proteinsynthesemaschinerie neu interpretiert wird. Dieses Code Engineering führt zu neuartigen Nukleinsäuren und Eiweißmolekülen mit veränderten Eigenschaften. Es ist ein universelles Instrument, das für viele Forscher in der Synthetischen Biologie interessant ist – egal, ob sie Strategien des Top-down- oder des Bottom-up-Ansatzes verfolgen. Für den Aufbau künstlicher Zellen ist dieses Know-how von Bedeutung. Aber auch für Forscher, die Minimalzellen mit neuen Funktionen ausstatten wollen, eröffnen sich neue Spielräume (zu Zellen mit Minimalgenom).

Erweiterung des genetischen Alphabets

Eine chemische Erweiterung des genetischen Alphabets in lebenden Zellen ist Forschern um Floyd Romesberg vom Scripps Research Institute in La Jolla (USA) gelungen: Zu den herkömmlichen vier Buchstaben – den Basenpaaren A und T sowie C und G – schufen sie ein künstliches Nukleotidpaar: X und Y. Sie brachten Escherichia coli-Bakterien dazu, diese künstlichen Bausteine in ihre Erbinformation einzubauen und zu vervielfältigen (Maleyshev; Nature 2014). Solche künstlichen genetischen Polymere werden in der Forschergemeinde der Synthetischen Biologie auch XNA (Xeno Nucleic Acids) genannt. Ein Team um Philippe Marlière vom ISSB in Evry (Frankreich) und Rupert Mutzel von der FU Berlin wiederum schaffte es, Bakterien darauf zu trimmen, den fremden Baustein 5-Chlor-Uracil anstelle des natürlichen Thymins in ihr Erbgut einzubauen. Die Forscher haben dazu die Evolution der E.coli-Bakterien über viele Generationen im Labor kontrolliert und in eine gewünschte Richtung gelenkt. Sie konnten zudem zeigen: Das Bakterium mit chemisch verändertem Genom kann nur existieren, wenn es weiterhin mit dem Baustein 5-Chlor-Uracil gefüttert wird (Marlière; Angewandte Chemie 2011).

Neuer Übersetzungsschlüssel für Designer-Proteine

In einem weiteren Schritte des Code Engineering beschäftigen sich Bioingenieure damit, den genetischen Code so umzuprogrammieren, dass sie zu Designer-Proteinen mit neuen Eigenschaften gelangen. Zum Beispiel könnten robuste Enzyme entstehen, die bei niedrigen oder hohen Temperaturen aktiv sind. Um den genetischen Code zu verändern, nutzen Forscher die Tatsache, dass in der Erbinformation der Bauplan für Proteine gespeichert ist. Normalerweise basiert die Proteinbiosynthese auf einem universellen Übersetzungsschlüssel: Beim Ablesen der Boten-RNA (mRNA) durch die Proteinbiosynthesemaschinen, den Ribosomen, werden jeweils drei aufeinanderfolgende Basen – ein sogenanntes Triplett-Codon – in eine Aminosäure übersetzt. Dabei steht jede Dreierkombination für eine bestimmte Aminosäure. Bis auf wenige Ausnahmen bestehen alle natürlichen Proteine aus einem Standardbausatz von zwanzig Aminosäuren. Von dieser Molekülklasse gibt es aber viel mehr – einige hundert kommen natürlich vor, weitere Varianten lassen sich künstlich im Labor erzeugen.

Das Potenzial des genetischen Codes wird in der Natur also bisher nicht ausgeschöpft. Hier setzen Forscher in der Synthetischen Biologie an: Sie gestalten an der Proteinbiosynthese beteiligte Biomoleküle so um, dass diese die Codons anders übersetzen. Dadurch wird der Aufbau von „exotischen“ Designer-Proteinen möglich, die an definierten Stellen nicht-natürliche Aminosäuren enthalten. Auf diese Weise haben Forscher um Jason Chin vom MRC-LMB in Cambridge (Großbritannien) beispielsweise Mikroorganismen mit speziellen Ribosomen erzeugt, die Quadruplett-Codons statt der üblichen Triplett-Codons ablesen (Neumann; Nature 2010). Die britischen Wissenschaftler haben damit die Grammatik verändert, nach der genetische Information in Aminosäureketten übersetzt wird.

Genetisch isolierte Organismen

Ob XDNA oder Designer-Proteine: Forscher in der Synthetischen Biologie bedienen sich bei ihrer Konstruktion dem Ingenieursprinzip der Orthogonalität. Darunter versteht man den gezielten Ersatz von Systemkomponenten durch fremde, definierte Bauteile. Es entsteht durch solche zum Teil künstlichen Biomoleküle eine „biologische Parallelwelt“. Lebende Organismen mit solchen gravierenden Veränderungen in der Chemie des Lebens sind nach Ansicht der Forscher sehr sicher: Sie sind von der Zugabe nicht-natürlicher Bausteine derart abhängig, dass sie außerhalb des Labors nicht existieren können. Mit einem veränderten genetischen Code wären solche Organismen zudem genetisch isoliert: Sie sind nicht mehr in Lage, DNA mit anderen Lebewesen in der Natur auszutauschen. Nach dieser Biosicherheits-Strategie haben Forscher um Farren Isaacs von der Yale University das Bakterium E.coli mit einem neuen genetischen Code ausgestattet und auf den zusätzlichen Einbau einer künstlichen Aminosäure bei der Proteinsynthese geeicht. Wurde diese Aminosäure nicht in der Kulturschale zugefüttert, stoppten die Mikroben ihr Wachstum. Und es fand kein Gentransfer zu anderen Mikroben statt. Die umprogrammierten Bakterien waren durch eine andere chemische Sprache von den Artgenossen isoliert (Rovner; Mandell; Nature 2015). Gleichwohl gibt es aus ethischer Perspektive Diskussionen darüber, wie mit lebenden Organismen umgegangen werden soll, die nicht-natürliche Bausteine enthalten (zu Ethik).

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