Die normative Kraft der Vagheit

Bei einer Veranstaltung von MaxSynBio im Dialog diskutieren Wissenschaftler mit dem Publikum, was synthetisch ist und was natürlich

21. August 2018

Moral ist nicht selten eine Frage der Definition. So bereitet manchen Menschen der Gedanke an eine im Labor hergestellte Zelle vor allem deshalb Unbehagen, weil er sich nicht mit ihren Vorstellungen verträgt, was synthetisch ist und was natürlich. Im Rahmen eines Symposiums des Forschungsverbundes MaxSynBio war diese Frage, die für die Haltung gegenüber der Synthetischen Biologie eine wichtige Rolle spielt, Thema einer Podiumsdiskussion im Jahrtausendturm in Magdeburg.

Viele Philosophen dürften mit einer Zelle, die im Reagenzglas aus ihren Komponenten zusammengesetzt wird, kaum ein Problem haben. Zumindest nicht, wenn sie sich an einige der philosophischen Naturbegriffe halten, die der Berliner Chemiker und Philosoph Joachim Schummer in einem Impulsvortrag präsentierte. So gehört nach der dynamischen Definition von Natur, die auf Kant zurückgeht, alles zur Natur, was Naturgesetzen gehorcht. Mithin ist auch alles natürlich, was technisch machbar ist. Nach dem teleologischen Naturverständnis, das auf Aristoteles Gedanken beruht, umfasst die Natur alles, was ein Streben in sich trägt. Auch demnach wären künstlich hergestellte Lebewesen, die nach Selbsterhaltung und Vermehrung streben, natürlich. Nur der statische Naturbegriff begriff verträgt sich mit einer Zelle aus dem Labor nicht. Denn er grenzt die Natur gegen alles ab, was der Mensch macht.

Über die Differenzierung zwischen synthetischem und natürlichem Leben diskutierten nach Joachim Schummers Einführung Petra Schwille, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in München, Kai Sundmacher, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg, Barbara Prainsack, Soziologin und Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien sowie Peter Dabrock, Theologe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

"Vagheit ist der Motor der Wissenschaft."

Schon, dass der Naturbegriff in verschiedenen philosophischen Traditionen unterschiedlich gefasst ist, erschwert die öffentliche Debatte, ob der Mensch Lebewesen herstellen darf. Zumal die Unterscheidung von natürlich und synthetisch aus Sicht des Philosophen eine metaphysische ist, wie Joachim Schummer in der anschließenden Diskussion anmerkte. Kai Sundmacher hält die Klärung der Frage nach dem Natürlichen und dem Künstlichen dennoch für relevant: „Das beeinflusst die Akzeptanz der synthetischen Biologie.“ Auch für Peter Dabrock hat die Unterscheidung ihre Berechtigung. Er ist zwar überzeugt, dass die Begriffe natürlich und synthetisch nie eindeutig definiert werden könnten: „Aber diese Vagheit ist Motor der Wissenschaft.“

Das Ringen um die Grenze zwischen natürlichen und synthetischen, also künstlichen Dingen, ist aber nicht nur Teil der ethischen Standortbestimmung. Für Barbara Prainsack hat die Unterscheidung vor allem politische Bedeutung: „Man tut politisch etwas, wenn man etwas als künstlich bezeichnet.“ Denn während der Mensch in natürliche Dinge nicht eingreife, müsse Künstliches überwacht und reguliert werden. Dabei gehe es auch immer um die Frage, ob etwas neu ist. In diesem Sinn hält Barbara Prainsack nicht die Differenzierung zwischen künstlich und natürlich für wesentlich, sondern die Unterscheidung, ob etwas schon da oder neu ist.

In etwas anderem politischen Sinn ordnet Peter Dabrock ordnet den Begriff der synthetischen Biologie ein. Die Wissenschaft sei damit einer forschungspolitischen Agenda gefolgt: „Das Türschild ‚synthetisch‘ konnte nicht schnell genug da sein“, sagt er. „Erst später hat man realisiert, dass das problematisch ist.“

Synthetische Biologie in Anlehnung an die synthetische Chemie

Einen Ausweg, um die Probleme mit der Unterscheidung zwischen synthetisch und natürlich zu vermeiden, könnte ein anderes Begriffspaar bieten. „Ich bevorzuge die Unterscheidung zwischen synthetisch und analytisch“, sagt Kai Sundmacher. Während die Analyse einen Forschungsgegenstand in seine Einzelteile zerlegt, setzt die Synthese ihn aus den Komponenten zusammen. So sieht auch Petra Schwille in dem Begriff der synthetischen Biologie vor allem die Anlehnung an die synthetische Chemie, die etwas aus Teilen zusammenbaut. Und weil die Synthese einer Zelle ihr erklärtes Ziel ist, hält sie den Begriff der Modellzelle, den eine Zuhörerin als Alternative zur synthetischen Zelle vorschlug, auch nur solange für hilfreich, wie das Verständnis im Vordergrund stehe.

Zwar geht es Petra Schwille zunächst auch genau darum, aber nicht nur: „Meine Motivation ist es zu verstehen, welchen Gesetzen eine Zelle folgt.“ Und weil das bislang angesichts von Tausenden von Genen noch nicht möglich sei, möchte sie die Zelle vereinfachen. Dabei geht es nicht zuletzt um die Frage: „Was muss die Zelle können, damit wir sie Zelle nennen können.“ Doch die synthetische Biologie will bei dem Verständnis nicht haltmachen: „Wir wollen das systemische Spektrum erweitern“, so Petra Schwille. Allerdings ist dieses Ziel noch nicht gerade zum Greifen nah: Alleine bis zur ersten aus ihren Bestandteilen zusammengesetzten Zelle werde es der Biophysikerin zufolge noch zehn Jahre dauern.

PH

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