Forscher diskutieren über Synthetische Biologie

Bei der Jahrestagung der Initiative Biotechnologie 2020+ präsentieren Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen ihre Sicht auf das Forschungsfeld

22. September 2015

Synthetische Biologie ist zum markanten Schlagwort in den modernen Lebenswissenschaften geworden – doch was steckt dahinter? Welche Zukunft hat dieser Forschungszweig in Deutschland? Am Vorabend der Jahrestagung der vom Bundesforschungsministerium geförderten Initiative Biotechnologie 2020+ hatte die Max-Planck-Gesellschaft als diesjähriger Gastgeber am 22. September zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion ins Harnack-Haus in Berlin-Dahlem geladen. Vor rund 80 Interessierten im Publikum stellten fünf Experten verschiedener Forschungsorganisationen vor, warum und wie sie sich mit Synthetischer Biologie beschäftigen und wo sie die Chancen und Herausforderungen dieses aufstrebenden Felds sehen.

Mit der Initiative Biotechnologie 2020+ fördert das Bundesforschungsministerium Aktivitäten in den vier großen Forschungsorganisationen und an Hochschulen, die sich mit der nächsten Generation biotechnologischer Verfahren beschäftigen. Die Synthetische Biologie gilt hierbei als vielversprechender Forschungszweig, dem sich immer mehr Wissenschaftler widmen. Im Gespräch mit Moderator Peter Schneider (Future Camp) erläuterten fünf Forscher, was für sie das Besondere an der Synthetischen Biologie ist.

Die Zelle nachbauen und verstehen

Zunächst ging es um die Frage, welche grundsätzlichen Zielsetzungen die Forscher in der Synthetischen Biologie verfolgen. „Wir wollen die Natur in ihren Grundzügen nachahmen und so etwas Komplexes wie eine Zelle besser verstehen“, sagte Katharina Landfester vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung. Die Chemikerin stellte das Forschungsnetzwerk MaxSynBio vor und erläuterte, wie Grundlagenforscher aus neun Max-Planck-Instituten aus chemischen Bausteinen von Grund auf eine funktionstüchtige Zelle oder zumindest Teilprozesse nachbauen wollen. Im Ingenieursjargon wird dieser Ansatz bottom-up genannt. Die chemischen Bausteine ließen sich dabei wie Legosteine eines Baukastens nutzen.

„In der Zelle sind die Dimensionen allerdings so klein, dass sich die Bausteine selbstständig zu Strukturen zusammenlagern müssen“, so Landfester. Am Ende könnten so einmal aus Modulen synthetische Zellen entstehen, „die wir trainiert haben, etwas herzustellen“. Für den Potsdamer Bioanalytiker Frank Bier, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI), greift der Forschungsansatz die Frage auf: „Was ist Leben?“

Erfrischend neuer Zugang zur Biotechnologie

Nach den Worten von Helmholtz-Forscher Wolfgang Wiechert vom Forschungszentrum Jülich bietet die Synthetische Biologie einen erfrischend neuen Zugang zur Biologie und zur Gestaltung von Biosystemen. „Es ist etwas für Querdenker aus den verschiedensten Disziplinen“, sagte Wiechert. Bestes Beispiel sei der internationale Bioingenieurs-Wettbewerb iGEM, bei dem Hochschulteams Zellen mit neuen und nützlichen Funktionen ausstatten. Die Begeisterung für das Ingenieurhafte kann Wiechert gut nachvollziehen: Er selbst ist studierter Maschinenbauer und hat früher Walzwerke konstruiert. In diesen gebe es diese „absolute Vorhersagbarkeit“, von der Biotechnologen bei ihren Produktionsorganismen bislang nur träumen könnten. Das Baukastenprinzip der Synthetischen Biologie sei ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Planbarkeit.

Auch für Ludger Wessjohann, Direktor am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie in Halle, ist das gezielte Design von biologischen Strukturen und Prozessen der wichtigste Ansporn in der Synthetischen Biologie. „Aber wir können biologische Maschinen wie etwa Enzyme heute immer noch nicht rational neu entwerfen und bauen“, betonte Wessjohann. Synthetische Biologie sei in erster Linie „Biotechnologie in einer neuen Komplexitätsstufe“. „Man darf Synthetische Biologie nicht mit der Schaffung von synthetischem Leben gleichsetzen.“

Unabhängiger Blick auf die Forschung

Die ethische Perspektive wiederum nahm der Theologe Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg ein. Er ist im Forschungsnetzwerk MaxSynBio eingebunden, betonte aber auch, dass sein Team unabhängig vom Max-Planck-Konsortium arbeite. „Wir sind kein Akzeptanzbeschaffungsinstrument und reden den Forschern nicht nach dem Mund“, so Dabrock. Mehrere Punkte in der öffentlichen Debatte gab Dabrock deshalb zu Bedenken. Die Synbio-Forscher würden gerne Ingenieursvokabeln nutzen. „Doch manche Menschen irritiert das und es bereitet ihnen in manchen Fällen Unbehagen“, sagte er. Es gelte, solche Befürchtungen ernst zu nehmen und aufzugreifen. Er beklagte zudem die vollmundige Rhetorik von US-Forschern wie Craig Venter. Dadurch sei ein Hype entstanden, der sich selbst in den wissenschaftsinternen Diskussionen fortsetze. Leibniz-Forscher Wessjohann stellte indes klar, für Biotech-Entrepreneure in den USA zähle es, das Interesse von Investoren zu wecken. Anders als in Deutschland gehöre laut Klappern dort zum Geschäft – auch im Wissenschaftsbetrieb.

Schwieriges Image des Begriffs „synthetisch“

Als möglichen Stolperstein für die Kommunikation sahen die Forscher auf dem Podium das mehrdeutige Etikett „synthetisch“ an, das in der Bevölkerung mehrheitlich negative Assoziationen wecke. Das spiegelt sich auch in einer kürzlich von der Wissenschaftsakademie Leopoldina vorgelegten Studie zum öffentlichen Meinungsbild wider. Für die meisten Forscher ist mit dem Begriff gemeint, Nützliches auf biologischem Wege herzustellen oder Biologie zu konstruieren. Das Negativ-Image des Wortes „Synthese“ liege unter anderem an der für Deutschland typischen romantischen Vorstellung von Natur.

Chemieunfälle in der Vergangenheit hätten zudem ein Negativ-Bild der „synthetischen“ Chemieindustrie befördert, hieß es in Berlin. „Es ist immer noch unklar, ob die Diskussion wie bei der Roten oder aber wie bei der Grünen Gentechnik geführt wird“, sagte Dabrock. Die Wissenschaftskommunikation zu den Chancen und Risiken der Grünen Gentechnik gilt hierzulande weitgehend als gescheitert. Wenn die Diskussion ähnliche Züge annehme, würden die Forscher das derzeit gewählte Türschild „Synthetische Biologie“ sicherlich schnell wieder abmontieren. Der Erlanger Ethiker riet dazu, keine übertriebenen Darstellungen und Versprechungen zum Potenzial der Synthetischen Biologie zu machen. Sämtliche Akteure müssten durch sorgfältige und offene Kommunikation dafür sorgen, dass die Gesellschaft Vertrauen in die beteiligten Institutionen aufbaue.

pg

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