Stoffwechsel 2.0

Algen binden, wie die meisten höheren Pflanzen, Kohlendioxid mit dem Enzym Rubisco. Dieses ist der am häufigsten dafür eingesetzte Biokatalysator, jedoch nicht der effizienteste. Das Team um Tobias Erb experimentie­rt daher mit anderen Enzymen und Stoffwechselwegen, um Kohlendioxid noch wirkungs­voller in organische Moleküle umwandeln zu können

7. Mai 2020

Mehr als 50 Millionen Gene, 40000 Proteine – für Tobias Erb und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg war die Auswahl in internationalen Datenbanken gewaltig. Am Ende haben die Wissenschaftler gerade mal 17 Enzyme für den ersten künstlichen Stoffwechselweg herausgepickt, der Kohlendioxid in andere organische Moleküle umwandeln kann. Nun müssen sie zeigen, dass der am Reißbrett entworfene Zyklus auch in einer lebenden Zelle funktioniert.

Text: Klaus Wilhelm

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: eine Maßnahme gegen den Treibhauseffekt, die das überschüssige Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt und daraus auch noch umweltfreundliche Produkte erzeugt. Um rund 30 Prozent sind die Werte in den vergangenen 100 Jahren gestiegen – was maßgeblich dazu beiträgt, dass sich die Erde immer weiter erwärmt. Ein Verfahren, welches das überschüssige Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre entfernt und gleichzeitig noch sinnvoll nutzt, wäre also hochwillkommen.

Tobias Erb treibt aber nicht primär der Kampf gegen den Klimawandel an. Zunächst einmal will der Forscher verstehen, wie sich gasförmiges Kohlendioxid in organische Moleküle umwandeln lässt. „Wenn wir das Treibhausgas dann mit biologischen Methoden als Kohlenstoffquelle erschließen und dabei aus der Atmosphäre entfernen könnten, so wäre das natürlich ein toller Nebeneffekt“, sagt der Max-Planck-Forscher.

Erb studierte Biologie und Chemie und wollte schon früh wissen, wie das Leben im Kleinen tickt: „Mich hat immer schon interessiert, wie so winzige Lebewesen wie Bakterien Dinge vollbringen, die für Chemiker bis heute unerreichbar sind“, sagt er. Die ersten Jahre seines jungen Forscherdaseins verbrachte er denn auch mit den Enzymen von Bakterien. Diese Proteine fungieren als Biokatalysatoren, die chemische Reaktionen anfachen, be-schleunigen oder beenden.

Alternative zu Rubisco

Schon in seiner Doktorarbeit wandte sich Tobias Erb dabei dem Kohlenstoffkreislauf zu – dem Vorgang, bei dem das Kohlendioxid der Atmosphäre in unterschiedliche Zuckerverbindungen umgewandelt wird. Dabei entdeckte er in einem Purpurbakterium ein Enzym mit dem schwer auszusprechenden Namen Crotonyl-CoA Carboxylase/Reductase (CCR). Dieses schleust Kohlendioxidmoleküle in den Stoffwechsel des Bakteriums ein.

Neben den Bakterien sind Pflanzen die Hauptnutznießer dieses als Kohlendioxidfixierung bekannten Vorgangs: Bei der Fotosynthese produzieren Pflanzen mit dem Licht der Sonne als Energiequelle aus dem Kohlendioxid der Atmosphäre Zucker. Dazu verwenden Pflanzen einen Stoffwechselweg, den sogenannten Calvin-Zyklus, der mit all seinen daran beteiligten Enzymen in jedem Biologie-Schulbuch steht. Der Calvin-Zyklus ist für das Leben auf der Erde unverzichtbar, denn durch ihn produzieren Pflanzen für Organismen lebenswichtige kohlenstoffhaltige Moleküle.

Lange Zeit galt der Calvin-Zyklus als einziger Stoffwechselweg der Kohlendioxidfixierung. „Inzwischen kennen wir aber ein gutes halbes Dutzend weitere“, erklärt Erb, „mehr als ein Drittel des Kohlendioxids auf diesem Planeten wird von Kleinstlebewesen gebunden.“ Die Natur hat also unterschiedliche Lösungen für dasselbe Problem ersonnen. Sie alle funktionieren, aber keine ist perfekt.

Ein Beispiel: Das Kohlendioxidbindende Enzym des Calvin-Zyklus heißt Rubisco. Für Erb ist es das „am meisten unterschätzte, weil häufigste Enzym auf unserem Planeten“. Auf jeden Menschen kommen etwa fünf Kilogramm Rubisco. Aus dem Kohlendioxid, das im Volumen eines gewöhnlichen Wohnzimmers vorhanden ist, kann das Enzym eine Prise Zucker produzieren.

Dennoch arbeitet Rubisco eigentlich vergleichsweise langsam und ziemlich nachlässig: Bei jeder fünften Re­aktion schnappt sich das Enzym irrtüm­licherweise statt ein Kohlendioxid­ ein Sauerstoffmolekül. Die Pflanzen kön­nen sich ein derlei liederliches Vorge­hen leisten, haben sie doch meistens ausreichend Licht und damit Energie zur Verfügung.

Das von Erb entdeckte Enzym CCR dagegen agiert, als hätte es einen Turbo eingeschaltet: 20­mal schneller als das pflanzliche Rubisco. Insgesamt fixiert es Kohlendioxid zwei­ bis dreimal so effizi­ent. Nicht zuletzt, weil sich dieses En­zym so gut wie nie irrt. „CCR katalysiert die effizienteste Reaktion zur Kohlendi­oxidfixierung, die wir bis heute ken­nen“, sagt der Biologe. Für die Bakterien ist das auch unerlässlich, denn sie ha­ben oft weniger Energie zur Verfügung.

Erb und seine Kollegen wollen aber nicht nur entschlüsseln, wie CCR arbei­tet und was seine erstaunlichen Fähig­keiten ausmacht. Sie wollen das Enzym auch dazu einsetzen, den Kohlenstoff­kreislauf im Labor nachzubauen und dessen Fähigkeiten nutzen. „Die Her­ausforderung für uns Biologen besteht heute darin, aus dem Unbelebten Ab­läufe des Lebens nachzubilden“, erklärt der Forscher.

Dies haben sich auch andere Wissen­schaftler zum Ziel gesetzt. „Bisher haben wir Biologen, ähnlich wie die analyti­schen Chemiker im 18. Jahrhundert, versucht, die komplexen Abläufe in der Natur in einzelne Bausteine zu zerlegen und so zu entschlüsseln. Aber erst wenn wir einen biologischen Vorgang aus Grundbausteinen nachstellen können, haben wir tatsächlich verstanden, wie er funktioniert“, sagt Tobias Erb.

Leben aus der Petrischale

Seit sich das Erbgut beliebiger Organis­men entziffern und verändern und sich künstliche Versionen von Genen kreie­ren lassen, ist die Biologie in eine neue Phase getreten: die Phase des Schaffens und Bauens. Das Zauberwort heißt Syn­thetische Biologie. Wissenschaftler auf diesem Gebiet wollen Zellen erschaf­fen, die sie zu neuen Funktionen pro­grammieren können. Einer der Pionie­re dieser Fachrichtung ist Craig Venter. Sein Ansatz: alle Bauteile aus lebenden Zellen zu entfernen, die nicht unbe­dingt zum Überleben notwendig sind, um damit eine Minimalzelle zu er­schaffen, die dann mit neuen Eigen­schaften ausgestattet werden kann. Dazu hat der US­-Amerikaner bereits das minimale Erbgut eines Bakteriums im Labor synthetisiert und in eine lee­re Zellhülle eingesetzt.

In Deutschland soll ein im Jahr 2014 gestartetes Projekt der Max-­Planck­-Ge­sellschaft und des Bundesforschungs­ministeriums die Synthetische Biologie voranbringen. Daran beteiligt sind Gruppen von neun Max­-Planck­-Insti­tuten sowie der Universität Erlangen­-Nürnberg. Im Gegensatz zu vielen an­deren Projekten der Synthetischen Biologie wollen die Wissenschaftler eine Minimalzelle aus den einzelnen Komponenten neu konstruieren.

Durch diesen Ansatz könnten eines Tages künstliche Zellen mit speziell zu­sammengestellten Stoffwechselwegen entstehen, die etwa Medikamente, Impf­stoffe oder Biokraftstoffe herstellen – und dazu zum Beispiel das Kohlendioxid aus der Atmosphäre verwenden.

Zurück ins Labor von Erb und sei­nem Team. Dort öffnet Thomas Schwan­der den Gefrierschrank und holt ein ganzes Sortiment kleiner Gefäße her­aus – jedes etwa halb so groß wie ein USB­-Stick. Darin ruht eine kleine wis­senschaftliche Sensation: jene Stoffe und Enzyme, die zusammen einen komplett neuen Stoffwechselweg zur Kohlendioxidfixierung ergeben.

Tobias Erb hatte 2011 – damals noch an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich – den auf den Namen CETCH getauften Zyklus in nur zwei Wochen mit sämtlichen biochemischen Reaktionen skizziert. Er nutzte dazu einerseits sein Wissen über den Kohlendioxidstoffwechsel als auch internationale Datenbanken, in denen mehr als 50 Millionen Gene und mehr als 40000 Enzyme mit ihren jeweiligen Funktionen gespeichert sind.

Daraus hat Erb mehrere Dutzend Kandidaten gewählt, die zusammen mit dem Turbo-Enzym CCR in seinem künstlichen Zyklus die gewünschten Aufgaben erfüllen könnten: „Nachdem wir uns so lange mit der natürlichen Kohlendioxidfixierung beschäftigt hatten, war ich überzeugt, dass unser Designer-Stoffwechsel sich auch in die Praxis umsetzen lassen würde.“

Noch vor seinem Wechsel von Zürich nach Marburg an das Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie stellte Erb ein Team zusammen, „ohne Hierarchien und mit begabten Forschern, die sich wissenschaftlich austoben wollen“. Mit Leidenschaft und viel Know-how haben sie in einer Rekordzeit von zwei Jahren die Pläne am Reißbrett Wahrheit werden lassen.

Die Wissenschaftler testeten dabei die Funktionstüchtigkeit neuer Enzym-Kandidaten, veränderten sie und probierten so lange neue Kombinationen aus, bis diese optimal zusammenarbeiteten. „Das war trotz aller Labortechnik immer noch viel Handarbeit“, berichtet Thomas Schwander. „Immer wieder mussten wir neue Hürden überwinden.“ So konnten die Forscher den Zyklus lange Zeit nicht recht in Schwung bringen, da eines der Enzyme nur zusammen mit einer eisenhaltigen Verbindung funktionierte. Diese ließ jedoch die anderen Proteine ausflocken. Das Enzym musste also zunächst so verändert werden, dass es mit dem besser verträglichen Sauerstoff arbeiten kann.

Eine weitere Schwierigkeit lag darin, dass der Zyklus zu Beginn viele Fehlreaktionen aufwies. Dadurch arbeitete er nur langsam und kam schnell ins Stocken. Erst als die Wissenschaftler zum ursprünglichen Zyklus noch weitere Enzyme hinzugaben, konnten sie die Fehlreaktionen korrigieren. Der Trick dabei: Diese zusätzlichen Enzyme funktionieren als Recyclingkräfte, welche die Fehler der andern beseitigen. Tobias Erb vermutet, dass solche Korrekturschleifen auch in natürlichen Stoffwechselwegen wichtig sein könnten.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz: Am Ende ist es den Forschern gelungen, den ersten von Menschenhand geschaffenen Stoffwechselweg zur Kohlendioxidfixierung zusammenzufügen. Beteiligt sind daran 17 Enzyme aus neun verschiedenen Organismen – vom einfachen Bodenbakterium bis hin zum Menschen. Darunter sind auch drei Designer-Enzyme, welche die Wissenschaftler aus bereits existierenden mithilfe des Computers so umgebaut haben, dass sie genauer arbeiten oder andere Reaktionen katalysieren.

Rohstoffe auf Wunsch

Die Enzyme sind also natürlichen Ursprungs, ihre Kombination zu einem neuartigen, hocheffizienten Stoffwechselweg kommt aber in der Natur nicht vor. „Vermutlich hatten die jeweiligen Enzyme in der Natur im Laufe der Evolution nie die Möglichkeit zusammenzukommen“, sagt Schwander. In Erbs Kohlendioxidzyklus entsteht am Ende eine Verbindung namens Glyoxylsäure. Der Kreislauf kann aber so verändert werden, dass sich stattdessen auch Rohstoffe für Biodiesel oder andere organische Stoffe bilden.

Für die Kohlendioxidfixierung wird Energie benötigt. Der CETCH-Zyklus wird von chemischer Energie angetrieben, genauer gesagt: von Elektronen. Der Calvin-Zyklus der Fotosynthese arbeitet mit der Energie des Sonnenlichts, die er dann in chemische Energie verwandelt. Die Forscher können also vergleichen, welcher Prozess effizienter ist: Während der CETCH-Zyklus nur 24 bis 28 Lichtquanten für die Bindung eines Kohlendioxidmoleküls verbrauchen würde, sind es bei der natürlichen Fotosynthese bis zu 34. „Wir könnten also mit derselben Lichtenergie rund 20 Prozent mehr Kohlendioxid binden“, sagt Erb.

Und das ist noch nicht mal die Obergrenze: Erbs Team arbeitet bereits an der Entwicklung noch sparsamerer Kohlendioxidzyklen. Diese könnten in Zukunft vielleicht an Solarzellen gekoppelt werden und die Elektronen, die diese aus der Lichtenergie produzieren, direkt zur Umwandlung von Kohlendioxid verwenden. Technisch erscheinen derlei Visionen nicht mehr unmöglich. So arbeiten die Forscher im MaxSynBio-Netzwerk intensiv daran, Prozesse an der Schnittstelle von Chemie, Materialwissenschaften und Biologie zu ermöglichen.

Ganz im Sinne der Synthetischen Biologie könnte der CETCH-Zyklus auch helfen, die natürliche Fotosynthese zu verbessern. Zunächst müssten die Gene für die Enzyme des CETCH-Zyklus dann allerdings in eine lebende Zelle – ein Bakterium, eine Alge oder Pflanzen – eingebaut werden, die dann das jeweils gewünschte Produkt herstellen würde.

Die Marburger Wissenschaftler wollen daher als Nächstes Bakterien dazu bringen, die CETCH-Gene in ihrem Sinne zu nutzen. „Wir können nicht vorhersagen, wie sich unser Zyklus aus 17 Reaktionen in einer Zelle verhalten wird, in der 3000 verschiedene Reaktionen gleichzeitig ablaufen. Da liegt noch Arbeit für einige Jahre vor uns“, sagt Tobias Erb.

Vielleicht landet das Biomodul des CETCH-Zyklus aber auch in Craig Venters Minimalzelle. Oder, noch besser, in einer künstlichen Zelle, die im Zuge des MaxSynBio-Netzwerks entstehen soll. In jedem Fall wird es noch etwas dauern, bis Erbs Traum in Erfüllung geht: „Mit maßgeschneiderten Enzymen einen künstlichen Stoffwechsel 2.0 zu erschaffen, der jede beliebige organische Verbindung aus Kohlendioxid herstellen kann.“

Auf den Punkt gebracht

  • Das Kohlendioxid-bindende pflanzliche Enzym Rubisco arbeitet nur langsam und macht dabei regelmäßig Fehler. Das bakterielle Enzym Crotonyl-CoA Carboxylase/Reductase (CCR) ist im Vergleich dazu rund 20-mal schneller und exakter.
  • Zusammen mit 16 weiteren Enzymen lässt sich das Enzym CCR im Reagenzglas zum CETCH-Stoffwechselweg zusammenfügen. Der künstliche Zyklus wandelt Kohlendioxid effektiver um als der von Pflanzen genutzte Calvin-Zyklus.
  • Bakterien oder Pflanzen könnten mit dem CETCH-Zyklus eines Tages überschüssiges Kohlendioxid in der Atmosphäre binden und in nützliche organische Substanzen umwandeln.

Anmerkung. Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in der MaxPlanckForschung 4/2016.

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