Synthetische Biologie, aber sicher
Zwar befindet sich die synthetische Biologie noch weitgehend im Grundlagenstadium, aber einige Anwendungen sind bereits zur Marktreife gediehen. So ist es angemessen, dass das Thema Sicherheit die politische und ethische Debatte innerhalb und außerhalb der Wissenschaft frühzeitig bestimmt hat. Mit den schnellen und einfach zu handhabenden molekularbiologischen Methoden des Genome Editing hat die Debatte weitere Brisanz erhalten.
Sind Produkte und Konstrukte aus den Laboren der Bioingenieure gefährlich? Wie wirken sich Synbio-Organismen auf die Umwelt aus? Wie lassen sich Risiken angemessen einschätzen? Der Schutz vor unerwünschten ökologischen und gesundheitlichen Folgen des legalen Umgangs mit gentechnisch veränderten Organismen wird unter dem Begriff „Biosafety“ gefasst. Ein anderer Schwerpunkt der Sicherheitsdebatte beschäftigt sich mit der „Biosecurity“ – also dem Schutz vor gezieltem Missbrauch des Wissens zu illegalen oder terroristischen Zwecken.
Biosafety: Wie geeignet sind bestehende Regulierungen?
Die Frage nach einer geeigneten Definition der synthetischen Biologie wird nicht zuletzt von der Politik und den Regulierungsbehörden gestellt. Denn es ist wichtig, zu wissen, ob die neuen Entwicklungen aus den Synbio-Laboren unter die geltenden gesetzlichen Regulierungen fallen und von diesen angemessen erfasst werden. Oder sind neue Verfahren der Risikoabschätzung und des Risikomanagements notwendig?
In Deutschland gibt es ein ganzes Bündel an Gesetzen, die für den Umgang mit synthetischer Biologie relevant sind. Am wichtigsten ist hierbei das Gentechnikgesetz, das den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen regelt. Es reguliert gentechnische Eingriffe an Lebewesen, die sich fortpflanzen können. Denn nicht die Veränderung einiger Lebewesen ist kritisch, sondern die mögliche Gefahr, die von veränderten Organismen ausgeht, wenn diese sich unkontrolliert verbreiten können. Daher gilt das Gentechnikgesetz nur für Entwicklungen nach dem top-down-Ansatz der synthetischen Biologie, nicht aber für solche nach dem bottom-up-Ansatz. Von Fall zu Fall sind neben dem Gentechnikgesetz Regelungen zum Infektionsschutz, die Biostoffverordnung oder das Kriegswaffenkontrollgesetz relevant sowie Regelungen zum Natur- und Umweltschutz oder zum Chemikalienrecht.
Bisher herrscht in den Wissenschaftsakademien und den Forschungsorganisationen die grundlegende Meinung vor, dass es sich bei der synthetischen Biologie im top-down-Ansatz im Wesentlichen um eine Weiterentwicklung der bisherigen Molekularbiologie handelt. Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, welches hierzulande alle Aktivitäten zur synthetischen Biologie erfasst, ist nach derzeitigem Stand der Auffassung: Die biologische Sicherheit ist gegeben, wenn die bestehenden Regelungen eingehalten werden. Die Aktivitäten in der synthetischen Biologie werden durch die Gesetze, insbesondere das Gentechnikgesetz, erfasst.
Die Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit (ZKBS), eine unabhängige Kommission beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, die Bund und Länder bei der Sicherheitsbewertung von gentechnischen Organismen und Anlagen berät, führt eigens ein Monitoring zur synthetischen Biologie durch. So sollen frühzeitig Entwicklungen identifiziert werden, die regulative Anpassungen notwendig machen könnten.
Auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) sieht in seinem Anfang 2016 vorgelegten Arbeitsbericht zur synthetischen Biologie derzeit keinen akuten Handlungsbedarf. In dem Bericht unterscheidet das TAB eine synthetische Biologie im engeren und eine im weiteren Sinne und nutzt diese Einteilung für ihre Folgenanalyse.
Der Bericht stellt klar, dass die breite praktische Nutzung der synthetischen Biologie im engeren Sinne, also vom Menschen von Grund auf designter künstlicher biologischer Systeme in den kommenden Jahren erst allmählich gesellschaftliche und politische Relevanz entfalten dürfte. Auch die synthetische Biologie im weiteren Sinne, die vom TAB als nächste Stufe der Bio- bzw. Gentechnologie betrachtet wird, spielt sich derzeit nahezu ausschließlich in geschlossenen Produktionssystemen ab. Hier geht es etwa darum, komplexe Stoffwechselwege in Mikroorganismen zu konstruieren und in der industriellen Biotechnologie zu nutzen.
Genome Editing bringt neue Chancen und Risiken
Durch die zunehmend einfachen und schnelleren Möglichkeiten der gezielten molekularbiologischen Veränderung von Organismen ist in den nächsten Jahren mit zahlreichen Anwendungen zu rechnen, nicht nur bei Bakterien, sondern auch bei Tieren, Pflanzen oder sogar beim Menschen. Schon Ende 2018 sorgte die Geburt von Zwillingen, deren Erbgut mit der neuen Genome-Editing-Technik verändert worden war, für viel Aufsehen und Empörung. Ziel der Methoden ist es, Bausteine im Erbgut DNA- sehr präzise auszutauschen. Peter Dabrock, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen und Vorsitzender des deutschen Ethikrates kommentiert diesen Schritt unmissverständlich: „Dass ausgerechnet am Tag vor dem weltweiten Wissenschaftsgipfel, der über den verantwortlichen Umgang mit dem Genome Editing beim Menschen berät, ein solches Experiment bekannt wird, kann ja fast nur als Affront gegenüber dem Ansinnen verantwortlicher Wissenschaft gewertet werden. Hier hält man sich nicht an international vereinbarte Standards innerhalb der Wissenschaftscommunity.“
Die Anwendung des Genome-Editing beim Menschen verurteilen die meisten Wissenschaftler. Die Methode eröffnet ihnen aber auch viele Möglichkeiten: Damit hält der Ingenieursansatz noch stärker als bisher Einzug in das Feld der Life Sciences. Derzeit wird an der Präzision und Zuverlässigkeit der Genscheren gearbeitet. Wichtig ist zudem, dass diese Genome-Editing-Methoden wie Crispr-Cas sehr einfach anzuwenden sind und schnell zu Ergebnissen führen. Crispr-Cas kann zwar auch umfangreiche Mutationen induzieren, etwa den Einbau ganzer Gene in das Erbgut, am effektivsten ist die Methode aber, wenn es darum geht, Gene auszuschalten oder einzelne DNA-Bausteine zu verändern, also sogenannte Punktmutationen zu bewirken. Allerdings arbeitet Crispr-Cas auch in diesen Fällen noch nicht absolut genau. Viele Forscher arbeiten daher daran, die Methode so zu verfeinern, dass sie möglichst nur noch die gewünschten Mutationen bewirkt. Ob das gelungen ist, lässt sich heute recht einfach mit einer Erbgutsequenzierung überprüfen. Mutationen, bei denen einzelne Gene ausgeschaltet oder einzelne Genbausteine ausgetauscht werden, lassen sich nicht von solchen unterscheiden, die von Natur aus entstehen. Ob die Veränderungen auf eine natürliche Mutation oder einen Eingriff mit Crispr-Cas zurückzuführen sind, lässt sich daher nachträglich nicht mehr nachweisen.
Trotzdem hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juli 2018 entschieden, dass die Regeln für gentechnisch veränderte Organismen auch für Pflanzen gelten, die mithilfe der Genome-Editing-Technik gezüchtet wurden.
Auch manche Wissenschaftler begrüßen diese Entscheidung, einige sind darüber jedoch besorgt, da sie Feldstudien und Nutzpflanzenzüchtungen, die die Vorteile der Genom-Editierung nutzen, in Deutschland praktisch unmöglich mache. Auch MPG-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler fordern daher einen europäischen politischen Prozess mit dem Ziel, die Gentechnik-Gesetzgebung zu aktualisieren. Sie soll mit dem Fortschritt in der Gentechnologie und Innovation in Europa vereinbar sein und bei Anwendungen der Genom-Editierung zwischen denjenigen unterscheiden, die die natürlichen Mutageneseprozesse nachahmen, und solchen, die mehr Kontrolle erfordern.
Max-Planck-Forscher haben sich daher auch einem Appell europäischer Forschungsinstitutionen angeschlossen, die Gesetzgebung zu ändern. Sie fürchten negative Konsequenzen vor allem für kleine Saatgutzüchter in Europa, die mit den großen Konkurrenten weltweit kaum noch mithalten können. Während große Saatgutunternehmen neue Sorten auch mit großem Aufwand züchten könnten, böte die Crispr-Cas-Technik kleinen Unternehmen die Möglichkeit, auf einem effizienten Weg zu Saatgut mit neuen Eigenschaften zu gelangen. Durch einen großen bürokratischen Aufwand werde es den Saatgutzüchtern aber sehr erschwert, die Methode einzusetzen.
Die Dual-Use-Problematik und Biosecurity
Die Molekularbiologie und die Genomforschung haben viel Wissen über die Zusammensetzung von gefährlichen Krankheitserregern oder die Herstellung von Giftstoffen, Drogen und Dopingsubstanzen hervorgebracht. Allerdings reicht das Wissen alleine nicht aus, um die Erkenntnisse der synthetischen Biologie und Methoden wie Crispr-Cas praktisch umzusetzen. Dafür bedarf es auch eines gut ausgestatteten Labors und fundierte molekularbiologische Kenntnisse. Dennoch haben vor allem Verfahren aus der Virusforschung in den vergangenen Jahren Anlass zur Besorgnis gegeben, ob das Wissen der synthetischen Biologie auch missbraucht werden kann, zum Beispiel für Bioterrorismus (Biosecurity).
Erstmals in den Fokus geraten war das Anfang der 2000er-Jahre, als Molekularbiologen die Genome von Polioviren und Grippeviren komplett chemisch synthetisierten und zusammenbauten. Die Methode birgt vielversprechendes Potenzial für die Herstellung von Impfstoffen, gleichzeitig entstand eine Debatte, wie mit diesem heiklen Wissen umgegangen werden soll, um einem möglichen Missbrauch vorzubeugen. Dabei müssen alle Akteure auch den Umstand berücksichtigen, dass es die Methoden der synthetischen Biologie ermöglichen, biologische Systeme anhand digitalisierter genetischer Baupläne neu zu erzeugen. Die digitale Information, die dafür als Grundlage dient, lässt sich viel einfacher auch über Ländergrenzen hinweg austauschen und ist in manchen Fällen sogar in Datenbanken frei verfügbar. Das erschwert die Kontrolle biotechnologischer Aktivitäten und erhöht das Risiko eines möglichen Missbrauchs.
Die Frage nach dem Umgang mit der Ambivalenz von Technik steht unter dem Schlagwort Dual-Use-Problematik auf der Agenda von Wissenschaft und Gesellschaft. In Deutschland wurde die Dual-Use-Problematik mit Blick auf besorgniserregende biosicherheitsrelevante Forschungsvorhaben („Dual Use Research of Concern“— DURC) in den vergangenen Jahren von Wissenschaftsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und Politik engagiert aufgegriffen und intensiv diskutiert.
In der Folge beauftragte die Bundesregierung den Deutschen Ethikrat mit der Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema „Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“. Diese wurde im Mai 2014 vorgelegt und bildet den Referenzpunkt für die weitere politische Behandlung des Themas hierzulande.
Ein Kernpunkt des Papiers ist die Erstellung eines bundesweit – also für alle Arten von öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen, gültigen – Forschungskodexes für einen verantwortlichen Umgang mit Fragen der Biosicherheit. Außerdem soll eine zentrale, interdisziplinär zusammengesetzte DURC-Kommission eingerichtet werden, die alle Forscher vor dem Beginn von DURC-Projekten informieren müssen. Um eine Kultur der Verantwortung zu fördern, soll das Thema fortan stärker in den Curricula für Studierende und Doktoranden präsent sein.
Verantwortlicher Umgang mit neuer Technik
Kritikern der synthetischen Biologie, darunter internationale Nichtregierungsorganisationen wie die ETC Group, gehen die Aktivitäten der Politik und der Wissenschaft nicht weit genug. So fordern diese ein Moratorium für die kommerzielle Nutzung von synthetischen Organismen, da ihrer Ansicht nach die Risikoabschätzung derzeit nicht ausreichend kalkulierbar ist und deutlich mehr für den Schutz von Gesellschaft und Umwelt getan werden müsse.
Die Akteure im Feld der synthetischen Biologie haben sich indes schon von Beginn an bemüht, gegenüber möglichen Missbrauchs-Risiken offen und verantwortungsbewusst zu reagieren. Hersteller, die auf die kommerzielle DNA-Synthese spezialisiert sind, haben sich 2009 beispielsweise zum International Gene Synthesis Consortium (IGSC) zusammengeschlossen und sich einen gemeinsamen Verhaltenskodex auferlegt, mit dem sich die IGSC-Unternehmen zur Überprüfung von Proben auf potenziell gefährdendes DNA-Material verpflichten. Liefert das Screening verdächtige Ergebnisse, werden die Behörden informiert.
Viele Beobachter und Akteure sind sich einig, dass für die synthetische Biologie nichts Anderes gilt als für andere neue Techniken: Sie muss beweisen, dass sie dem Druck an Erwartungshaltung und Misstrauen standhalten kann. Charakteristisch für die synthetische Biologie ist, dass hier bereits frühzeitig eine begleitende Ethik- und Technikfolgen-Diskussion eingesetzt hat. Im Sinne eines zeitgemäßen politischen Umgangs (Governance) wird zudem versucht, die Gesellschaft für die Ausgestaltung von Innovationsprozessen umfassend zu beteiligen. Dazu gilt es, eine Kultur der Transparenz, der offenen gesellschaftlichen Debatte und Auseinandersetzung sowie der gemeinsamen Verantwortung zu fördern. Das ist auch die Leitidee der Begleitforschung nach dem Konzept der Responsible research and innovation (RRI-Konzept), das in der EU-Forschungsförderung eine wichtige Rolle spielt.