Künstliche Zellen konstruieren

Auf dem Weg zu einer künstlichen Zelle setzen Wissenschaftler darauf, ursprüngliches Leben von Grund auf aus unbelebten Bausteinen im Labor zu konstruieren. Hierfür führen sie Biomoleküle zu Protozellen zusammen und nutzen die Triebkraft der Selbstorganisation.

Eine Zelle ist ein hochkomplexes Gebilde. Wer sie künstlich von Grund auf nachbauen will, muss die wichtigsten Komponenten zu einem funktionierenden Organismus zusammenfügen und tatsächlich zum Leben erwecken – das ist die große Vision der Zellingenieure, die den Bottom-up-Ansatz der Synthetischen Biologie verfolgen.

Kompartimente mit Leben füllen

Wie sehen die Mindestanforderungen an ein System Zelle aus? Was sind die elementaren Funktionseinheiten lebender Systeme? Forscher aus dem Feld der Synthetischen Biologie sind sich heute weitgehend einig, dass eine minimale Zelle von einer Membranhülle begrenzt ist. Diese formt ein Behältnis (Kompartiment), das wiederum in einzelne Reaktionsräume untergliedert sein kann (zu Cluster A: Mikrokompartimente). Ein weiteres Schlüsselmerkmal: Es existiert ein Informationsträger, also ein Programm oder ein genetischer Bauplan, der in Proteine mit einer Funktion übersetzt wird. Die genetische Information lässt sich vervielfältigen und an Tochterzellen vererben (zu DNA und Genome herstellen). Das System muss zudem fortwährend Stoffwechsel (Metabolismus) im Kontakt mit der Umwelt betreiben, um sich selbst zu erhalten und sich zu reproduzieren (zu Cluster C: Nachgeahmte Lebensprozesse).

Um ein biologisches System tatsächlich im Labor zu rekonstituieren, müssen Forscher die drei genannten Teilaspekte im Detail verstehen und nachahmen, um sie in einem weiteren Schritt miteinander verzahnen zu können. In Analogie zur Computertechnik gilt es für die Bioingenieure, die zelluläre Hardware und die Software zu einem funktionierenden System zu vereinen.

Schnittstelle von Chemie zur Biologie

Erste Schritte auf dem Weg zur konstruierten Zelle sind Chemikern und Physikern gelungen, die dem Ursprung des Lebens in der Evolution auf der Spur sind. Sie gehen im Labor der Frage nach, wie einst in der Ursuppe aus chemischen Molekülen ‚primitive‘ Zellformen, die sogenannten Protozellen, hervorgingen. Einer der Pioniere der Protozellen-Forschung ist Jack Szostak, Medizin-Nobelpreisträger von 2009. Für den Molekularbiologen von der Harvard University sind zwei Merkmale von Protozellen wesentlich: Sie werden durch eine wachsende Membran als Hülle räumlich begrenzt. Und sie enthalten biologisches Material, das replizierbar ist, also kopiert werden kann. Wesentliche Triebkraft ist die Selbstorganisation und die Kooperation der Makromoleküle. Schon vor mehr als drei Milliarden Jahren wirkten dabei bereits Evolutionskräfte wie die Selektion: Moleküle, die stabiler waren, häuften sich an und konnten erfolgreich weitergegeben werden.

Membranblase mit integriertem RNA-Kopierer

Bei dem Versuch, ursprüngliches Lebens im Labor zu rekonstruieren, hat Szostaks Team bereits beachtliche Fortschritte vermelden können: Die Hüllen seiner Protozellen bestehen aus Fettsäure-Bausteinen, die sich selbstständig zu Bläschen, sogenannten Liposomen, zusammenlagern. Diese Membrankugeln sind durchlässig für chemische Bausteine, die im Experiment von außen dazugegeben werden. Beladen haben die US-Forscher ihre Zellen im Innern mit RNA-Molekülen.

Diese Nukleinsäuren gelten vielen Evolutionsforschern als urtümlicher Vorläufer der Erbsubstanz DNA. Eine weitere Besonderheit: RNA-Moleküle sind nicht nur Informationsträger, sondern funktionieren auch wie Enzyme – sie können sich etwa selbst vervielfältigen und können daher genutzt werden, um den Vermehrungsprozess, die Replikation, nachzuahmen. Durch einen chemischen Trick haben die Forscher um Szostak kürzlich ihre Protozellen tatsächlich dazu gebracht, sowohl ihr genetisches Material zu kopieren, als auch anschließend ihren Inhalt an abgeschnürte Tochterzellen weiterzugeben (Andamala; Science 2013).

Synthetische Zellen bauen

Die Ursprünge des Lebens im Labor nachzustellen, ist nur ein Weg, dem Ziel der synthetischen Zelle näher zu kommen. Um deutlich komplexere künstliche Systeme zu konstruieren, experimentieren Molekularbiologen mit zellfreien Biosynthese-Systemen. Dazu wird die komplette Proteinbiosynthese-Maschinerie aus zellfreien Lysaten gewonnen (zu Zellstrukturen und Bionano-Maschinen bauen). Die Proteinsynthese-Maschinen lassen sich in künstliche Membrankapseln packen. Forscher um den US-Biophysiker Vincent Noireaux haben zum Beispiel membranumhüllte Proteinfabriken geschaffen, die porenartige Moleküle herstellen, die sich wiederum selbstständig in die Membran einlagern. Dadurch werden die Zellen durchlässig für Synthesebausteine oder chemische Energie, die von außen zugeführt werden (Noireaux; PNAS 2004).

Andere Forscher streben bei der Neukonstruktion von Zellen danach, natürliche und nicht-natürliche chemische Bausteine zusammenzubringen (zu Biomoleküle chemisch verändern). Hier sprechen Forscher auch von künstlichen Zellen. Ob Protozelle oder künstliche Zelle – auf diesen Ansätzen bauen die Forscher im Forschungsnetzwerk MaxSynBio auf, um Zellsysteme aus unbelebter Materie herzustellen.

Auch wenn schon erste Schritte erreicht sind, der Weg zu einer von Grund auf konstruierten Zelle ist noch lang. Fundamentale Fragen an die Zellbiologie sind unbeantwortet: Wie bringt man die Zelle dazu, dass ihre Hülle wächst und sie sich eigenständig teilt? Wie funktioniert eine Maschinerie, die DNA selbstständig kopiert und die genetische Information weitergibt? Für die Wissenschaftler gibt es auf dem Weg zur synthetischen Zelle noch jede Menge Baustellen.

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